1874 - 1999 125 Jahre Offenbacher Stenografen und Maschinenschreiber
Eigentlich begann die Zeit der Stenografie in Offenbach bereits
1861, als nämlich in der Zeit des Aufblühens unserer Stadt als
Fabrikstadt der Oberpostrevisor Adam Senfft aus Frankfurt hier den ersten
Unterricht in Stenografie erteilte und am 1. April 1862 einen Verein gründete,
dessen Präsident Hermann Otto war. Zu den Mitgliedern dieses alten
Vereins gehörte auch der berühmte Geschichtsschreiber Offenbachs,
Emil Pirazzi. Der Verein stellte jedoch 1866 seine Arbeit wieder ein, so
dass es am 4. Januar 1874 zur Gründung des Gabelsberger Stenografenvereins
Offenbach kam, dessen Jubiläum wir nunmehr feiern.
Schon 1875 verlegte der Verein seinen Unterricht in die Schulräume
der Höheren Mädchenschule. 1883 übernahm der Verein für
ein Jahr die Leitung des Hessischen Stenografenverbandes. Im gleichen Jahr
wurde Oberbürgermeister Brink Mitglied des Vereins und setzte die
Erlernung der Stenografie für Angestellte der Stadt durch. Nachdem
der Verein 1888 - 1890 und 1892 erneut die Leitung des Hessischen Stenografenverbandes
übernahm, fand 1890 der Hessische Stenografentag in Offenbach statt.
Auch gelang es, 1900 die Benennung einer Straße im Süden der
Stadt nach seinem Namensgeber, Gabelsberger, durchzusetzen. Die Mitgliederzahlen
stiegen stetig.
In der Festschrift zum 50. Vereinsbestehen ist dazu aufgeführt:
"Getragen und begünstigt wurde die glänzende Aufwärtsentwicklung
des Vereins für die Zeitverhältnisse. Das Aufblühen von
Handel und Industrie, die dadurch bedingte ungeheuere Vermehrung des Schreibgeschäfts
im kaufmännischen Kontor und im Büro der Verwaltungen, kurz auf
allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens, das alles ließ
den Wert einer Kurzschrift, richtiger gesagt: die unbedingte Notwendigkeit
einer solchen, so scharf hervortreten, dass die Stenografie heute ein Kulturfaktor
von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist".
Aus dem zarten Pflänzchen (16 Gründungsmitglieder) Stenografenverein
"Gabelsberger" Offenbach am Main war nach 50 Jahren ein starker Baum geworden.
Im Jubiläumsjahr zählte der Verein 855 Mitglieder. Dazu kamen
aber noch die Teilnehmer aus den Anfängerkursen, da diese als "nicht
kurzschriftkundig" satzungsgemäß noch nicht Mitglied sein konnten.
Der Höhepunkt des Jahre 1924 war der 44. Verbandstag des Hessisch-Nassauischen
Verbandes, zu dem 1400 Stenografen nach Offenbach kamen.
Das Jahr 1924 brachte auch die Einführung der Deutschen Einheitskurzschrift
(DEK), die der Verein schon 1925 in sein Programm aufnahm. Am 4. März
1927 änderte der Verein folgerichtig seinen Namen in "Verein für
Einheitskurzschrift, vormals Stenografenverein Gabelsberger 1874". Schon
1928 (13. September) führte der Hessisch-Nassauische Kurzschriftverband
in der Offenbacher Handelslehranstalt ein Maschinenschreiben und einen
Fremdsprachenstenografiewettbewerb durch. 1930 entsandte der Verein 17
Wettschreiber und 18 Mitarbeiter bzw. Vereinsvertreter zum ersten Bundestag
der Einheitsstenografie nach Berlin, der 8000 Stenografen, davon 4000 Wettschreiber,
vereinte.
Der Nationalsozialismus bedeutete auch für den Verein das Ende.
1933 als "Deutscher Stenografenbund, Ortsgruppe Offenbach 1874" gleichgeschaltet,
erfolgte 1942 die Zwangsvereinigung mit dem 1925 gegründeten Verein
"Freunde der Einheitskurzschrift" und 1943 die Übernahme durch die
Arbeitsfront.
1945, bald nach Ende des 2. Weltkrieges, trafen sich alte Stenografen
trotz bitterer Not und aller Schwierigkeiten, um über die Wiederaufnahme
des Unterrichts und Vereinslebens zu beraten. Aber erst 1946 erteilte der
damalige Oberbürgermeister Reinicke die Genehmigung. Allerdings hatte
die Militärregierung die Verwendung des alten Vereinsnamens abgelehnt,
so dass der Vereinsname "Kurzschriftverein Offenbach am Main von 1946"
heißen musste. Die endgültige Vereinsgründung ließ
dann auf sich warten; erst am 15. Juni 1948 erfolgte sie durch den Sicherheitsoffizier,
danach auch vom Ausschuss für Sport-, kulturelle und Jugendvereine
für Stadt- und Landkreis Offenbach. 1950 änderte der Verein seinen
ihm aufgezwungenen Namen in "Kurzschriftverein Offenbach am Main 1874/1925".
Die Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft machte sich auch wieder
im Verein bemerkbar. Zum 1. Januar 1953 zählte der Verein wieder 537
Mitglieder. Nach der Wiederaufnahme des Maschinenschreibunterrichts 1952
war die Eröffnung eigener Unterrichtsräume in der Herrnstraße
16 mit 30 Schreibmaschinen im Jahre 1954 ein Entwicklungshöhepunkt.
Das Jahr brachte auch das 80. Vereinsjubiläum, gefeiert mit Veranstaltungen
im Mai und Oktober in der Messehalle Offenbach mit Maria Mucke, Robby Spier
mit seinem Ensemble des Hessischen Rundfunks und Heinz Schenk als Conferencier.
Gegen Ende des Jahres konnte dann noch das 1000. Mitglied geehrt werden.
1956 wurde die Unterrichtsstätte erweitert und verfügte jetzt
über 30 bzw. 18 Schreibmaschinen in 2 Sälen. Im Bestreben, sein
Unterrichtsprogramm den Belangen des modernen Büros anzupassen, änderte
der Verein am 28. März 1960 seinen Namen in "Verein für Kurzschrift,
Maschinenschreiben und Bürotechnik (VKMB) 1874 E. V. Offenbach am
Main".
Wie der Verein 1928 mit Maschinenwettschreiben und Fremdsprachenstenografiewettbewerben
wegweisend war, richtete er auch 1961 für den Hessischen Stenografenverband
einen Testwettbewerb in Phonotypie/Stenotypie aus. Um einem spürbaren
Mangel an geeigneten Fachkräften abzuhelfen, wurde der Verein Träger
der Meisterschule für Kurzschrift und Maschinenschreiben, die der
Deutsche Stenografenbund in mehreren deutschen Städten einrichtete.
Die zunehmende Vollbeschäftigung und auch das immer breiter werdende
Freizeitangebot wirkten sich nachteilig auf die Leistungsbereitschaft aus
und führte zu sinkenden Mitgliederzahlen. Aus Anlass des Deutschen
Stenografentages in Berlin trat die Kabarettgruppe der Offenbacher Stenografenjugend
vor 2000 Besuchern in der Berliner Kongresshalle mit ihrem Programm "Neuropa
hat schon begonnen" auf.
Nach einer Umstellungsphase (Mitgliederstand 1966 392 Mitglieder) entwickelte
sich der Verein wieder aufwärts. 1969 konnte sich die Bilanz sehen
lassen: ca. 500 Mitglieder, 25 Lehrgänge, 20 staatlich geprüfte
Fachlehrer. Die neue Ausstattung der Unterrichtsräume des "Studios
für Kurzschrift und Maschinenschreiben" mit 60 modernen elektrischen
Schreibmaschinen wurde 1973 abgeschlossen, so dass das Jubiläumsjahr
1974 (100 Jahre) mit dem 24. Deutschen Stenografentag gekrönt werden
konnte. Rund 800 Wettschreiber, viele Helfer und eine große Schar
von Schlachtenbummler hielten sich vom 22. bis 26. Mai 1974 in Offenbach
auf. Neben den Wettbewerben, Mitgliederversammlungen und Diskussionsveranstaltungen
gab es 2 Höhepunkte: den Festball in der Stadthalle und die Siegerehrung
im Stadttheater an der Goethestraße. 1976 bis 1990 führte der
VKMB im Auftrag des Arbeitsamtes Offenbach Förderungsmassnahmen "Kurzschrift
und Maschinenschreiben" durch.Neben den Grundfächern wurde Deutsch,
Büroorganisation, Textformulierung, Protokollführung und Bewerbertraining
gelehrt.
1977 stellte der Verein bei den Weltmeisterschaften in Kurzschrift und
Maschinenschreiben in Rotterdam 19 Teilnehmern die größte Delegation
der deutschen Landesgruppe. Die Zahl wurde mit 23 Teilnehmern bei der Weltmeisterschaft
1979 in Belgrad noch überboten. Erstmals hatten 1957 zwei Offenbacher
an Weltmeisterschaften (Mailand) teilgenommen.
Im Jahre 1980 erschien die erste Ausgabe der Vereinsnachrichten "VKMB-Notizen".
Nach den Jahren 1884, 1889, 1890 und 1924 war Offenbach 1980 wieder einmal
wie auch in den Jahren 1990 und 1999 Gastgeber für die hessischen
Stenografen und Maschinenschreiber.
Heinz Borger
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